Michael Moorcock – Das Steinding

Aus den finsteren Orten hervor, aus den heulenden Nebeln, aus den Ländern ohne Sonne, aus Ghonorea kam der großgewachsene Catharz, das launische Schwert Eichenfäller in der Rechten, den verfluchten Speer Blutsäufer in der Linken, auf dem Rücken den bösen Bogen Todsänger mitsamt seinem Köcher voll angsteinflößender runengezeichneter Pfeilen, Herzsucher, Lochfresser, Seelenräuber, Waisenmacher, Augenblender, Sorgensäer, Rübenspalter und etlichen anderen.

Wo sein rechtes Auge hätte sein sollen, war ein Edelstein von schlummerndem Rot, dessen Farbe manchmal in schmelzendes Blau glitt, und anstelle seines linken Auges befand sich Kristall mit vielen Facetten, der pulsierte, als besäße er ein eigenes Leben. Wo Catharz einst eine rechte Hand hatte, steckte nun ein Ding von Eisen, Holz und geschnittenem Amethyst auf dem Stumpf, neunfingrig, fremdartig, von Catharz dem Wesen abgeschnitten, das ihm die eigene Hand abgehauen hatte. Catharz’ linke Hand schien zunächst einfach in einem Panzerhandschuh zu stecken, doch wenn man genauer hinschaute, erwies sich der Handschuh als ein vielgliedriges Organ aus Silber, Gold und Lapislazuli. Als aber Catharz vorbeiritt, verloren jene, die ihn sahen kein Wort über das murmelnde Schwer in seiner Rechten noch über den wispernden Speer in seiner Linken, noch über den heulenden Bogen auf seinem Rücken oder die murrenden Pfeile im Köcher, noch erwähnten sie sein rechtes Auge von schlummerndem Purpur, sein linkes Auge von pulsierendem Kristall, seine neunfingrige Rechte, seine metallisch schimmernde Linke; sie sahen nichts als den furchterregenden Fuß von Cwlwwymwn, der im Steigbügel an der rechten Flanke seines Reittiers steckte.
Der Fuß des Ächzenden Gottes, Cwlwwymwn Wurzelreißer, dessen Ehrgeiz auf der alten und müden Erde es gewesen war, alle Frauen zu Witwen zu machen; Cwlwwymwn des Zerschmetterers, dessen grauenhafte Füße ganze Städte zertrampelt hatten, als die Menschen damit begonnen hatten, Städte zu bauen; Cwlwwymwn von den Letzten, Letzter der Letzten, der in sein Inselreich am Rande der Welt zurückgedrängt worden war, jenseits des Westlichen Eises, und der nun humpelnd und nach Rache schreiend Catharz nachfolgte, auf daß er seinen Fuß zurückerhalte, den Eichenfäller von seinem Bein geschnitten hatte, damit Catharz wieder gehen und weiter seiner verhängnisschwangeren Mission folgen konnte, mit Waffen gerüstet, die ihm kein Schutz waren, sondern eine Last, dürstend nach Trost für die Schuld, die an seiner Seele fraß, denn er war es gewesen, der den Tod seines jüngeren Bruders, Forax des Goldenen, verursachte hatte, und den Tod seine Nichte, Libia Sanftknie, und das todgleiche Leben seines Vetters, Schavindel des Unausgeglichenen, auf der Suche nach dem Aufenthalt seiner verlorenen Liebe, Cyphila der Holden, die ihm sein Erzfeind gestohlen hatte, der Zauberer Has’Tema’Nemack, der mächtigste, bösartigste, lüsternste von allen großen Zauberern dieser zauberumwölkten Welt.
Und es waren keine Freunde da, die Catharz Gottfuß beigestanden hätten. Allein mußte er gehen, vor sich bebendes Entsetzen und stöhnende Schuld hinter sich, und Cwlwwymwn, den schreienden, rachsüchtigen, humpelnden Cwlwwymwn immer auf seiner Fährte.
Und weiter ritt Catharz, selten hielt er inne, kaum daß er absaß, brennend auf seine eigene Rache an dem Zauberer, und der Fuß von Cwlwwymwn, dem Letzten der Letzten, ward ihm schwer, was nicht wunder nimmt, war er doch zum wenigsten achtzehn Zoll länger als sein linker Fuß und unbeschuht, denn er hatte seinen Stiefel aufgeben müssen, als er gewahr wurde, daß er nicht paßte. Nun besaß Cwlwwymwn den Stiefel, solcherart hatte er herausgefunden, daß Catharz jener Sterbliche war, der ihm sein sechzehnkralliges grünes Glied gestohlen hatte, um es mit banger Magie ans Fleisch seines Beines zu fügen. Catharz linkes Bein war überhaupt nicht von Fleisch, sondern von lackiertem Kork, und gemacht hatte es für ihn das Volk der Welt Jenseits der Riffe, als er ihm in seinem Kampf gegen die Götter der niedrigsten See beigestanden hatte.
Die Sonne hatte den Himmel in bläulichen Purpur getaucht und war unter den Horizont gesunken, ehe Catharz sich eine kurze Rast gönnen wollte, und gerade schickte sich die Dunkelheit zum Herniedersinken an, als er einer kleinen Steinhütte ansichtig ward, zwischen Terrassen aus schimmerndem Kalkstein geduckt, wo er Nahrung zu finden hoffte, denn ihn hungerte sehr.
Indes er an die Tür klopfte, rief er: “Meinen Gruß antbiete ich, in Freundschaft komme ich, und Gastlichkeit suche ich, denn man nennt mich Catharz den Melancholischen, der schwer trägt am Fluche von Cwlwwymwn Wurzelreißer, der viele Feinde hat und keine Freunde, der seinen Bruder Forax den Goldenen erschlagen und den Tod von Libia Sanfknie verschuldet hat, deren Schönheit die Welt rühmte, und der seine verloren Liebe Cyphila die Holde sucht, die Gefangene des Zauberer Has’Tema’Nemack, und auf dem ein großes und schreckliches Verhängnis lastet.”
Die Tür öffnete sich, und eine Frau stand da. Ihr Haar war vom Silber eines Spinnennetzes im Mondschein, ihre Augen waren vom tiefen Gold, das man im innersten Innern eines Bienenstocks findet, ihre Haut hatte die blasse, bläuliche Schönheint der Teerose. “Willkommen, Fremder”, sagte sie. “Willkommen in dem, was übrig ist vom Hause Lanolis, deren Vater einst der Mächtigste in diesen Gefilden war.”
Und da er ihrer angesichtig ward, vergaß Catharz Cyphila die Holde, vergaß er, daß er seinen Bruder, seine Nichte erschlagen und seinen Vetter, Schavindel den Unausgeglichenen, verraten hatte.
“Du bist sehr schön, Lanoli”, sagte er.
“Ach”, sagte sie, “daß weiß ich wohl. Doch Schönheit wie die meine kann nur gedeihen, wenn sie gesehen wird, und lange ist es her, daß jemand in diese Lande kam.”
“So laß mich helfen, daß deine Schönheit gedeihe”, sagte er.
Der Hunger war vergessen, die Schuld war vergessen, die Furcht war vergessen, als Catharz sein Schwert ablegte, seinen Speer, seinen Bogen und seine Pfeile und langsam in die Hütte trat. Ungleich war sein Schritt, denn er turg noch die Bürde, die der Fuß des Letzten der Letzten war, und es dauerte eine Zeit, ihn durch die Tür zu ziehen, doch schließlich stand er drinnen und hatte die Tür hinter sich geschlossen und sie in seine Arme genommen und seine Lippen auf ihren Mund gedrückt.
“Oh, Catharz”, sagte sie atemlos. “Catharz!”
“Nicht lange, und sie standen nackt voreinander. Ihr Blick wanderte über seinen Körper, und kein Zweifel war, daß die Augen von Purpur und Kristall ihr wohlgefielen, daß sie seine silberne Hand und seine neunfingrige Hand bewunderte, daß selbst der große Fuß von Cwlwwymwn sie schön dünkte. Doch dann fiel ihr Blick, bislang scheu, auf das, was zwischen seinen Beinen lag, und ihre Augen weiteten sich ein wenig, und sie errötete. Ihre lieblichen Lippen formten eine Frage, doch er trat zu ihr, so schnell er konnte, und umarmte sie wieder.
“Wie?” murmelte sie. “Wie, Catharz?”
“Das ist eine lange Geschichte und eine blutige dazu”, flüsterte er, “von Rivalität und Vergeltung, doch soll nur gesagt sein, daß sie damit endete, daß mein Vater, Xympwell der Grausame, schreckliche Rache an mir nahm. Ich floh von seinem Hofe ins Ödland von Grxiwynn, rasend und irr, und dort war es, daß mich die Stammeskrieger von Velox fanden und mich zum Weisen Mann von Oorps in die Berge jenseits von Katatonia brachten. Er pfelgte mich und formte das für mich. Er brauchte zwei Jahre dazu, und all die zwei Jahre hindurch war ich außer mir und lebte von Staub und Tau und Wurzeln, so wie er. Die Gravuren haben mystische Bedeutung, die Runen enthalten die Summe seiner großen Weisheit, die winzigen Bilder zeigen alles, was von körperlicher Liebe zu zeigen ist. Ist es nicht schön? Schöner als das, was es ersetzt?”
Ihr Blick war bescheiden, sie nickte verhalten.
“Es ist in der Tat sehr schön”, stimmte sie zu. Und dann schaute sie zu ihm auf, und er sah Tränen in ihren Augen glitzern. “Aber mußte er es denn unbedingt aus Sandstein machen?”
“Es gibt kaum etwas anderes”, erklärte er traurig, “in den Bergen jenseits von Katatonia.”
Zitiert aus: Gefährliche Possen, Komische phantastische Geschichten, Terry Pratchett, Douglas Adams u.a., herausgegeben von Peter Haining, Wilhelm Heyne Verlag München, 1998
-Jörn

No more comments.
  1. Ha ha, na dass war ja mal wirklich witzig. 🙂
    Aber leider doch recht kurz für ´ne Kurzgeschichte.